»Achse des Holocaust« heißt einer der drei Gänge im Untergeschoss des Museums. In die Wand ist ein Vitrinenband eingelassen. Fotos, Schriftstücke und Gegenstände vermitteln die Geschichten von Menschen, die den Holocaust überlebten oder ermordet wurden.
In einer Vitrine liegen eine Gebetskapsel und ein Beutel mit einem eingestickten Davidstern. Die Dinge gehörten Leo Scheuer. Er hat sie dem Museum kurz vor seinem Tod geschenkt.
Als ich im Archiv unseres Museums die Akte von Leo Scheuer las, hatte ich das Gefühl, genug Stoff für einen abendfüllenden Film vor mir zu haben. Auf die kleine Tafel, die zu den Ausstellungsstücken gelegt wird, passen allerdings nur wenige Sätze.
Leo Scheuer verbrachte 15 Monate seines Lebens versteckt in einem Erdloch. Bei sich hatte er ein Anatomiebuch, eine Pferdedecke und eben die Gebetskapseln, die er täglich anlegte. Im Februar 1944 befreite die Sowjetarmee die Gegend von den deutschen Besatzern und auch Leo Scheuer aus seinem Versteck. – Das schrieb ich in den Ausstellungstext.
Auf die Texttafel passte jedoch nicht mehr, dass seine Verfolgung mit der Befreiung nicht aufhörte. Weil er einen gefälschten Pass bei sich trug, glaubten die Sowjets, er sei ein Spion und verurteilten ihn kurzerhand zum Tode. Ein jüdischer Richter konnte das Urteil in letzter Sekunde aufheben.
Im Ausstellungstext wird auch nicht erwähnt, dass die Tochter des ukrainischen Bauern, auf dessen Hof sich Leo Scheuer versteckte, Jahre später Geld dafür verlangte.
15 Monate lang konnte Leo Scheuer weder aufrecht stehen noch sich hinlegen. Luft und Licht erreichten ihn durch einen schmalen Spalt. Die Angst, entdeckt zu werden, wetteiferte mit der Angst, zu ersticken. Seine Exkremente beförderte er in seinem Socken nach draußen. Wie sich diese Erfahrungen auf Leo Scheuers körperliche und seelische Gesundheit auswirkten, steht nicht in seiner Akte – und ist kaum zu ermessen.
Die Holocaust-Achse verlangt dem Besucher einiges ab. Man muss sich auf diesen Bereich einlassen. Und die Gefühle aushalten, die sich beim Betrachten der Gegenstände einstellen. Nicht alle Details sind nötig, um die Geschichte zu verstehen.
Dennoch: Es fällt manchmal schwer, so viel wegzulassen.
Wenn der Text endlich gedruckt und mit den Objekten in die Vitrine gelegt wird, ist das ein sehr befriedigender Moment. Andererseits ist da aber auch immer das Unbehagen, nur einen Bruchteil zu erzählen. Überflüssig zu erwähnen, welches Gefühl bei der Vitrine von Leo Scheuer überwog.
Monika Flores Martínez, Ausstellungen